HISTORISCHES UND AKTUELLE FORSCHUNG ZU SELF-SEX
Me, myself and I
Filme, Serien, Werbung – ständig trifft man in unserer Gesellschaft auf das mittlerweile omnipräsente Thema Sexualität. Interessanterweise spielt Selbstbefriedigung dabei aber deutlich seltener eine Rolle. Nach wie vor wird über Self-Sex kaum gesprochen, auch wenn wir heute wissen, dass es sich dabei um eine der verbreitetsten und häufigsten Formen menschlicher Sexualität handelt, ganz unabhängig davon, ob und wie viel wir uns darüber austauschen.
Dass wir uns heute ohne Angst, Scham und Schuld unseren persönlichen Bedürfnissen widmen können, ist eine historisch relativ neue Entwicklung. Wird Selbstbefriedigung in unserer Zeit als ein wichtiger und gesunder Bestandteil menschlicher Sexualität betrachtet und sogar als “Wellnessprogramm” für Körper und Geist gefördert, wurde sie vor noch nicht allzulanger Zeit gesellschaftlich verpönt und geächtet.
Selbstbefriedigung: Vollkommen frei von Erwartungen! (Bildquelle: Pixabay)
Und wie war das früher?
Im Mittelalter beispielsweise galt Onanie im Sinne der römisch-katholischen Kirche als widernatürliche Unzucht und Sünde, da sie nicht der Fortpflanzung diente. Die religiöse Rolle wird auch deutlich bei dem Begriff “Onanie”: Er geht zurück auf die Bibelgeschichte über Onan, der seinen Samen nach dem Geschlechtsverkehr auf den Boden fallen ließ und daraufhin von Gott mit dem Tode bestraft wurde, also eigentlich Coitus Interruptus verübte und nicht masturbierte, wie man eigentlich vermuten würde (vgl. Genesis 38,8-10).
Im 18. Jahrhundert wurde Selbstbefriedigung sogar als Ursache für vielerlei Krankheiten erklärt. So hat der Schweizer Arzt Tissot (1794) in seiner Schrift “Von der Onanie, oder Abhandlung über die Krankheiten, die von der Selbstbefleckung herrühren” (deutsche Übersetzung) zahlreiche erschreckende Erkrankungen aufgelistet, die als Folge von Masturbation auftreten und schließlich zum Tod führen würden – angefangen von körperlicher Auszehrung über Neurosen und Verelendung bis zum völligen Gehirnschwund. Selbstbefriedung war ein Gräuel, das es mit allen Mitteln zu bekämpfen galt.
Auch von einem ungarischen Arzt namens Heinrich Kaan wurde Masturbation in der veröffentlichten Schrift “Psychopathia sexualis” (1844) schier zur Ursache aller Störungen des sogenannten Geschlechtstriebs erklärt. So wurde die Ablehnung der Masturbation nicht nur religiös, sondern auch noch medizinisch begründet. Als Folge wurden Keuschheitsgürtel und Korsettagen für Männlein und Weiblein entwickelt, die jedes unzüchtige Verhalten an sich selbst unterbinden sollten. Paradoxerweise wurden in dieser Zeit auch Vibratoren als Prophylaxe und Heilmittel weiblicher Hysterie empfohlen.
Glücklicherweise hat die sexuelle Liberalisierung ab den 1960er -Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass auch die Sexualität mit sich selbst nicht mehr als schädlich und krankmachend angesehen, sondern bejaht wird. Die berühmten Kinsey-Reporte der 50er bescheinigen zudem, wie verbreitet Selbstbefriedigung tatsächlich ist und zeigen: Ja, Selbstbefriedigung ist normal und fast jede Person tut es!
Allerdings halten sich bis in unsere Zeit so manche dieser historisch begründeten Annahmen hartnäckig, obwohl sie völlig haltlos sind. Aber wer hat noch nicht gehört, dass man von übermäßiger Selbstbefriedigung angeblich erblinden oder Sperma irgendwann alle werden könne? Heute wissen wir, dass Selbstbefriedigung als wohl ungefährlichste Sexualform überhaupt angenommen werden kann, wenn wir von einigen waghalsigen Methoden absehen.
(siehe Masturbation mit Staubsaugern).
Immerhin sind weder ungewollte Schwangerschaften noch sexuell übertragbare Infektionen durch einsame Schäferstündchen mit sich selbst zu erwarten. In unserer modernen Gesellschaft werden statt Keuschheitsgürtel technische Hilfsmittel wie Sex-Toys in allen Variationen entwickelt, die das einsame Vergnügen bereichern statt beschränken sollen.
Die Vorteile und positiven Effekte für Körper und Seele werden in den Vordergrund gestellt. So wird häufig davon berichtet, dass Masturbation zu einer befriedigenderen partnerschaftlichen Sexualität verhelfen könne, weil man sich dabei intensiv mit den eigenen Vorlieben beschäftigt. Immer wieder wird auch betont, dass regelmäßige Ejakulationen das Prostatakrebsrisiko des Mannes verringern würden und im Falle seltener partnerschaftlicher Sexualität Masturbation das Mittel der Wahl darstellt. Zudem soll Selbstbefriedigung Frauen bei Menstruationsbeschwerden helfen.
Warum, wieso, weshalb überhaupt?
Doch warum masturbieren Menschen überhaupt? Für die allermeisten ist mit Sicherheit der Orgasmus das Ziel. Das erklärt aber noch nicht die Motive, die damit (un-)bewusst verfolgt werden. Neben positiven Effekten auf Körper und Seele lassen sich auch weitere, individuell unterschiedliche Beweggründe finden.
Gewiss steht für viele die Freude an sexueller Erregung und Befriedigung im Vordergrund. Geschätzt wird hier wohl vor allem, dass sie völlig unabhängig von den Erwartungen eines anderen Menschen gelebt werden kann und abgesehen von dem eigenen Körper, einem passenden Ort und natürlich Lust keine weiteren Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Es braucht weder eine passende Verhütung noch möglicherweise nervenaufreibende Annäherungsversuche zum/zur potentiellen Partner_in.
Zudem wissen die allermeisten Menschen sehr genau, wie sie sich innerhalb kürzester Zeit sehr effektiv zum Orgasmus bringen können. Es braucht also noch nicht einmal besonders viel Zeit, wenn es mal schnell gehen muss oder soll. Allerdings können auch zahlreiche nicht-sexuelle Motive eine Rolle spielen. Beispielsweise nutzen viele Menschen Selbstbefriedigung als allabendliches Ritual zum entspannten Einschlafen oder als Möglichkeit sich vor oder nach Stresssituationen schnell Beruhigung zu verschaffen.
Lange Zeit wurde Masturbation nur als das kleine Geschwisterkind von Geschlechtsverkehr angesehen: Wer keinen Sex haben kann, der masturbiert eben. Sicherlich wird Selbstbefriedigung durchaus auch mal als Ersatz genutzt, wenn eben gerade kein_e Partner_in da ist, aber das wird der Bedeutung der Selbstbefriedigung im Leben vieler Menschen nicht gerecht. Vielmehr kann Masturbation als eine eigenständige Form der Sexualität betrachtet werden, die neben der partnerschaftlichen friedlich koexistiert und mit ihr in keinerlei Verbindung stehen muss.
Immerhin ist der Mensch währenddessen mit sich und seinen Emotionen vollkommen allein, frei von zwischenmenschlichen Erwartungen, die die partnerschaftliche Sexualität trotz allen Vergnügens verkomplizieren können. Vor diesem Hintergrund mag es auch nicht verwunderlich sein, dass wir diese intimen Momente nicht mit allen teilen, sondern einfach mal nur für uns allein genießen möchten. Möglicherweise handelt es sich dabei sogar um die authentischste und selbstbestimmteste Form menschlicher Sexualität, da wir uns völlig unabhängig und frei von anderen Menschen machen können.
Masturbation ist damit bedingungslos an unseren ganz persönlichen Bedürfnissen orientiert und eine der wenigen Situationen im Leben, in denen wir uns dafür nicht vor anderen rechtfertigen müssen. Self-Sex als gleichberechtigte Form neben partnerschaftlicher Sexualität zu definieren, scheint daher sehr viel gewinnbringender zu sein, als sie nur als Ersatzhandlung zu begreifen. Sie kann uns unser Leben lang begleiten, ohne zwischenmenschliche Interaktionen, ohne Scham- oder Schuldgefühl – einfach nur, um uns eine Zeit lang ganz auf uns und unsere Bedürfnisse zu konzentrieren und uns Gutes zu tun.